Gezeitenfeld

Das Gezeitenfeld ist die Ursache der Gezeiten. Es beschreibt die Inhomogenität des Gravitationsfeldes innerhalb eines bestimmten Gebiets. In frei fallenden Systemen ist von den äusseren Gravitationsfeldern nur das Gezeitenfeld nachweisbar.

Schwerelosigkeit

Die internationale Raumstation ISS kreist in etwa 350 km Höhe mit einer Bahnneigung von 51.6° und einer Umlaufzeit von 92 Minuten um die Erde. Wäre die Erde kugelförmig, würde ihr Gravitationsfeld gemäss dem Newtonschen Gesetz abnehmen. Mit dieser Vereinfachung lässt sich die Gravitationsfeldstärke am Ort der ISS über eine Proportion berechnen

[math]g=g_0\frac{r_0^2}{r^2}=g_0\frac{6370^2}{6720^2}[/math] = 8.8 N/kg

Im Orbit der ISS ist das Gravitationsfeld der Erde etwa 10% schwächer als auf der Erdoberfläche. Damit stellt sich die Frage, wieso die Astronauten schwerelos sind.

Jeder antriebslos durch den Weltraum fliegende Körper vollführt eine Fallbewegung. Bei frei fallenden Körpern ist die Beschleunigung von jedem Beobachter aus gesehen gleich der dort herrschenden Gravitationsfeldstärke. Betrachtet man die ISS von einem Bezugssystem aus, das mit der Erde um die Sonne fällt, aber nicht rotiert, ist dessen Beschleunigung gleich 8.8 m/s2. Sitzt der Beobachter auf der rotierenden Erde, ist Beschleunigung der Raumstation -je nach Flugrichtung - grösser oder kleiner als dieser Wert. Der Beobachter im rotierenden Bezugssystem Erde muss das Gravitationsfeld der nichtrotierenden Erde um das Zentrifugalfeld und einen dynamischen Term korrigieren. Die Wirkung des Zentrifugalfeldes auf einen Körper nennt man Zentrifugalkraft, die dynamische Wirkung Corioliskraft.

Ein mit der Raumstation mitfliegender, nichtrotierender Beobachter muss das Feld der Erde um ein homogogenes Trägheitsfeld ergänzen. Die Stärke dieses Trägheitsfeldes ist gleich minus der Beschleunigung der ISS. Diese Aussage lässt sich verallgemeinern:

  • In frei fallenden Systemen wird das von einem aussenstehenden Beobachter postulierte Gravitatonsfeld wegtransformiert. Frei fallende Systeme sind (lolal) inertial.

Erde und Sonne

Die Erde fällt in einer beinahe kreisförmigen Bahn um die Sonne. Berechnet man aus den bekannten Daten (Radius der Bahn 150 Millionen Kilometer und Umlaufzeit von 365.25 Jahre) die Beschleunigung der Erde, erhält man einen Wert von

[math]a=\frac{v^2}{r}=\frac{4\pi^2r}{T^2}[/math] = 5.95 10-3 m/s2

Die Beschleunigung der Erde ist nun gleich der Stärke des Gravitationsfeldes der Sonne am Ort der Erde. Die Feldstärke der Sonne am Ort der Erde beträgt demnach ungefähr 6mN/kg, was etwas weniger als der tausendste Teil der Feldstärke der Erde ist. Damit stellt sich die Frage, ob man am Tag (Sonne im Zenit) leichter ist als nachts (Sonne im Nadir), weil die Sonne einem im ersten Fall nach oben und im zweiten nach unten zieht.

Gezeitenfeld

Auf der rotierenden Erde misst man ein Gravitationsfeld, das grob in zwei Teile zerlegt werden kann. Der eine Teil besteht aus dem von der Masse der Erde erzeugten Gravitationsfeld, der andere ist das Zentrifugalfeld. Die Erdoberfläche, speziell die Weltmeere, richten sich im Gleichgewicht überall normal zu diesem Gravitationsfeld aus. Deshalb ist die Erde an den Polen abgeplattet und deshalb ist auch ihr Gravitationsfeld nicht kugelsymmetrisch.

Neben diesem beiden erdfesten Teilen (ein Teil wird durch Masse verursachte, der andere durch die Rotation) tragen alle andern Himmelskörper auch noch zum Gravitationsfeld bei. Nun muss unbedingt berücksichtig werden, dass diese äusseren Gravitationsfelder eine Beschleunigung der Erde verursachen, womit ein homogenes Trägheitsfeld einzuführen ist.

Betrachten wir dazu nochmals das Feld der Sonne. Die Sonne erzeugt ein Feld, das in guter Näherung zentralsymmetrisch ist

[math]\vec g_S=-G\frac{m_S}{s^3}\vec s[/math]

Die Beschleunigung der Erde gegen die Sonne ist gleich der Feldstärke der Sonne in der Erdmitte. Deshalb misst ein Beobachter auf der Erde nur das Gezeitenfeld der Sonne, das gleich der Differenz zwischen dem Wert am jeweiligen Ort und dem Wert in der Mitte der Erde ist

[math]\vec g_G=Gm_S\left(\frac{\vec s_0}{s_0^3}-\frac{\vec s}{s^3}\right)[/math]

Das Gezeitenfeld der Sonne wirkt am Mittag und um Mitternacht gegen oben. Am Tag ist das Gravitationsfeld der Sonne stärker als das Trägheitsfeld, in der Nacht dominiert das Trägheitsfeld.

Für einen Beobachter auf der Erde setzt sich das totale Gravitationsfeld aus dem statischen Teil (Feld der Erdmasse und Zentrifugalfeld) sowie aus mehreren Gezeitenfeldern zusammen. Doch nur die Gezeitenfelder der Sonne und des Mondes sind genügend stark, damit wir sie über ihre Wirkung nachweisen können. Die beiden Gezeitenfelder rotieren mit der scheinbaren Bewegung dieser Gestirne um die Erde herum. Weil das Gravitationsfeld des Mondes im Bereich der Erde eine grössere Inhomogenität als das der Sonne aufweist, erzeugt der Mond ein stärkeres Gezeitenfeld. Dies, obwohl das Gravitationsfeld der Sonne um etwa zwei Grössenordnungen stärker ist als das des Mondes.

Die Weltmeere versuchen nun, ihren Wasserspiegel gegenüber diesen rotierenden Gezeitenfelder auszugleichen. Dadurch einstehen täglich zwei umlaufende Flutwellen, die bei Voll- und Neumond etwas grösser sind als bei Halbmond. Im ersten Fall überlagern sich die beiden Gezeitenfelder konstruktiv, im zweiten Fall destruktiv.

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