Raumzeit

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In der Relativitätstheorie werden Raum und Zeit zur vierdimensionalen Raumzeit vereinigt. Einen Raum-Zeit-Punkt nennt man dann Ereignis. Das Skalarprodukt der Euklidschen Geometrie muss auf die Zeit ausgedehnt werden, womit der Abstandsbegriff eine neue Bedeutung bekommt. Die Drehung im Raum wird auf die spezielle Lorentz-Transformation erweitert. Im Gegensatz zum absoluten Raum der Newtonschen Mechanik ist die Raumzeit nicht mehr a priori gegeben: die Verteilung von Energie (Masse) und Impuls beeinflussen die Geometrie der Raumzeit, da der Energie-Impuls-Tensor direkt die Krümmung der Raumzeit bestimmt.

Raumzeit in der speziellen Relativitätstheorie

Motivation

Die Gesetze der Newtonschen Punktmechanik gelten in allen Inertialsystemen. Dies, weil im Grundgesetz der Translationsmechanik, das den Bezug zwischen den Kräften (Stärken der Impulsströme oder Impulsquellen) und der Beschleunigung des Körpers herstellt, die Geschwindigkeit nicht in Erscheinung tritt. In den Maxwell-Gleichungen, welche den Zusammenhang zwischen elektrischer Ladung (Dichte und Stromdichte) und dem elektromagnetischen Feld beschreibt, taucht nun aber eine spezielle Geschwindigkeit, die des Lichtes, c genannt, als Naturkonstante auf. Somit gelten die Gesetze der Elektrodynamik nur dann in allen Intertialsystemen, wenn die Lichtgeschwindigkeit für jeden beliebigen Beobachter in einem dieser Systeme gleich c ist: die Lichtgeschwindigkeit muss in jedem Inertialsystem gleich gross sein, damit die Gesetze der Elektrodynamik in all diesen Systemen gültig sind.

Die Forderung nach der Unabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit vom Beobachter legt die Geometrie der Raumzeit fest. Bewegt sich z.B. ein Lichtpuls in Richtung der x-Koordinate, gilt für die Strecke zwischen zwei Punkten sowie für die Zeitpunkte, zu denen der Lichtblitz dort vorbei flitzt, der folgende Zusammenhang

[math]c = \frac {x_2 - x_1}{t_2 - t_1} = \frac {\Delta x}{\Delta t}[/math]

oder für unmittelbar benachbarte Punkte

[math]c = \frac {dx}{dt}[/math]

Demnach muss, damit die Lichtgeschwindigkeit in der Raumzeit für jeden Beobachter gleich schnell ist, folgende Bedingung gelten

[math]cdt - dx = 0[/math]

Diese Bedingung ist bezüglich des Vorzeichens nicht eindeutig und lässt sich so auch nicht auf alle drei Dimensionen des Raumes ausdehnen. Verlangt man etwas weniger einschränkend, dass das Quadrat der Lichtgeschwindigkeit für jeden Beobachter auf einem beliebigen Inertialsystemen gleich gross ist, erhält man die folgender Bedingung

[math]c^2dt^2 - dx^2 - dy^2 - dz^2 = c^2dt^2 - ds^2 = 0[/math]

Aus dieser Bedingung folgt, dass das Quadrat jeder raumzeitlichen Strecke oder Distanz zwischen zwei Ereignissen S

[math]S^2 = c^2\Delta t^2 - \Delta x^2 - \Delta y^2 - \Delta z^2[/math]

von jedem Inertialsystem aus gesehen gleich gross ist. Ist S2 kleiner Null, nennt man die Distanz raumartig, ist S2 grösser Null, heisst die Distanz zeitartig. Zu jeder raumartigen Distanz findet man ein Inertialsystem, in dem der Zeitunterschied verschwindet. S entspricht dann der geometrischen Strecke im Raum. Zu jeder zeitartigen Distanz gehört ein Inertialsystem, bezüglich dessen die räumliche Länge verschwindet. S/c = τ ist dann der zugehörige Zeitabschnitt. τ heisst auch Eigenzeit.

Skalarprodukt

Nimmt man die Zeit als nullte Komponente des Raumes, sollte sie auch die gleiche Einheit wie eine Länge aufweisen. Wir führen deshalb eine neue Zeitkoordinate T = ct ein, welche in Metern gemessen wird. Vergleicht man die zeitliche Länge mit der räumlichen, wird auch klar, wieso wir mit der Raumzeit unsere liebe Mühe haben. Im Raum können wir eine Distanz von 0.3 Millimeter (0.0003 m) problemlos erkennen. Unser zeitliches Auflösungsvermögen liegt bei etwa 0.1 s, was einer zeitlichen Distanz von 30'000'000 m entspricht. Somit liegt beim Menschen das Verhältnis von räumlichem zum zeitlichen Auflösungsvermögen bei etwa eins zu hundert Milliarden.

Die Distanz zwischen den Ereignissen (T1, x1, y1, z1) und (T2, x2, y2, z2) ist dann gleich

[math]S^2 = \Delta T^2 - \Delta x^2 - \Delta y^2 - \Delta z^2[/math]

Daraus folgt, dass in der Raumzeit das "Skalarprodukt" zwischen den beiden Vektoren a und b wie folgt gebildet wird

[math]\vec a \cdot \vec b = a_0 b_0 - a_1 b_1 - a_2 b_2 - a_3 b_3[/math]

Führt man nun den speziellen metrischen Tensor ηij ein, der wie folgt definiert ist

[math]\eta^{ij} = \begin{pmatrix} 1 & 0 & 0 & 0 \\ 1 & -1 & 0 & 0 \\ 1 & 0 & -1 & 0 \\ 1 & 0 & 0 & -1 \end{pmatrix}[/math]

lässt sich das "Skalarprodukt" mit Hilfe der Einsteinnotation kompakt schreiben

[math]\vec a \cdot \vec b = \eta^{ij} a_i b_j[/math]

Die Distanz zwischen zwei Ereignissen ist dann gleich

[math]S = \sqrt{\eta^{ij} \Delta x_i \Delta x_j}[/math]

wobei der Distanzvektor Δx die Komponenten (Δ T = Δ ct, Δ x, Δ y, Δ z) aufweist.

Weltlinie

Raumzeit in der allgemeinen Relativitätstheorie

Nichteuklidische Geometrien

Grundlage zur Beschreibung der Raumzeit (ct,x,y,z) in der allgemeinen Relativitätstheorie ist die Riemannsche Geometrie. Die Koordinatenachsen sind hier nichtlinear, was als Raumkrümmung interpretiert werden kann. Für die vierdimensionale Raumzeit werden die gleichen mathematischen Hilfsmittel wie zur Beschreibung einer zweidimensionalen Kugeloberfläche oder für Sattelflächen herangezogen. Als unumstößlich angesehene Aussagen der euklidischen Geometrie, insbesondere das Parallelenaxiom, müssen in diesen Theorien aufgegeben und durch allgemeinere Beziehungen ersetzt werden. Die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten ist hier beispielsweise kein Geradenteilstück mehr. Einer Geraden in der euklidischen Geometrie entspricht die Geodäte in der nicht-euklidischen Welt; im Falle einer Kugeloberfäche sind die Geodäten die Großkreise. Die Winkelsumme im - aus Geodätenabschnitten bestehenden - Dreieck ist auch nicht mehr 180 Grad. Im Falle der Kugeloberfläche ist sie größer als 180 Grad, im Falle von Sattelflächen dagegen kleiner.

Raumzeit-Krümmung

Die Krümmung von Raum und Zeit wird durch Masse, Strahlung und Druck verursacht; diese Größen bilden zusammen den Energie-Impuls-Tensor und gehen in die Einsteingleichungen als Quelle des Gravitationsfeldes ein. Die daraus resultierende krummlinige Bewegung von kräftefreien Körpern entlang der Geodäten wird der Gravitationsbeschleunigung zugeschrieben; in diesem Modell existiert so etwas wie eine Gravitationskraft nicht mehr. In einem infinitesimalen Raumabschnitt (lokale Karte) besitzt das erzeugte Gravitationsfeld stets die flache Metrik der speziellen Relativitätstheorie. Dies wird durch eine konstante Raumkrümmung mit dem Faktor g/c2 beschrieben. Die Krümmung der Weltlinien (Bewegungskurven in der Raumzeit) aller kräftefreien Körper in diesem Raumabschnitt ist gleich.

In vielen populären Darstellungen der allgemeinen Relativitätstheorie wird häufig nicht beachtet, dass nicht nur der Raum, sondern auch die Zeit gekrümmt sein muss, um ein Gravitationsfeld zu erzeugen. Dass stets Raum und Zeit gekrümmt sein müssen, ist anschaulich leicht zu verstehen: Wäre nur der Raum gekrümmt, so wäre die Trajektorie eines geworfenen Steines immer dieselbe, egal welche Anfangsgeschwindigkeit der Stein besäße, da er stets nur dem gekrümmten Raum folgen würde. Nur durch die zusätzliche Krümmung der Zeit können die verschiedenen Trajektorien zustande kommen. Im Rahmen der ART kann dies auch mathematisch gezeigt werden.

Im normalen, dreidimensionalen Raum ist nur die Projektion der Weltlinien auf die Bewegungsebene sichtbar. Hat der Körper die Geschwindigkeit v, so ist die Weltlinie gegenüber der Zeitachse geneigt, und zwar um den Winkel [math]\tan \alpha=v/c[/math]. Die Projektion der Bahn wird mit steigendem v um den Faktor [math]1/\sin \alpha[/math] länger, der Krümmungsradius um den gleichen Faktor [math]1/\sin \alpha[/math] größer, die Winkeländerung also kleiner. Die Krümmung (Winkeländerung pro Längenabschnitt) ist daher um den Faktor [math]sin^2\alpha[/math] kleiner.

Mit

[math]\sin \alpha=\frac{v}{c}\frac{1}{\sqrt{1 + \frac{v^2}{c^2}}}[/math]

folgt dann aus der Weltlinienkrümmung g/c2 für die beobachtete Bahnkrümmung [math]R[/math] im dreidimensionalen Raum

[math]R=\frac{g}{v^2} \cdot \left(1 + \frac{v^2}{c^2} \right)[/math].

Symmetrien

Die Raumzeit ist charakterisiert durch eine Anzahl von Symmetrien, die sehr wichtig für die darin geltende Physik sind. Zu diesen Symmetrien zählen neben den Symmetrien des Raumes (Translation, Rotation) auch die Symmetrien unter Lorentztransformationen (Wechsel zwischen Bezugssystemen verschiedener Geschwindigkeit). Letzteres stellt das Relativitätsprinzip sicher.