Kraftfluss
Begriff
Unter dem Kraftfluss versteht man den Weg einer Kraft und/oder eines Moments in einem Bauteil vom Angriffspunkt (Stelle der Einleitung!) bis zur Stelle, an der diese durch eine Reaktionskraft und/oder ein Reaktionsmoment aufgenommen werden (Quelle: Vorlesungsunterlagen 2002, Prof. Dr.-Ing. Dr. h. c. mult. Uwe Heisel, Institut für Werkzeugmaschinen, Uni Stuttgart)
Bei der Erarbeitung massstäblicher Entwürfe stellt sich dem Konstrukteur vielfach die Aufgabe, für eine optimale Leitung von Kräften, Drehmomenten und/oder Biegemomenten durch die vorgesehenen Funktionsträger sorgen zu müssen. Zur Veranschaulichung der Funktion "Leiten von Kräften und Momenten" wird gern der Begriff "Kraftfluss" verwendet. (Quelle: Hintzen H., Laufenberg H.:Konstruieren und Berechnen, Vieweg)
Kraftfluss, Kraftleitung: äussere Lasten bewirken Schnittgrössen, die Beanspruchungen (Kräfte, Momente) hervorrufen, welche eleastische oder plastische Verformung hervorrufen. (Quelle: Vorlesungsunterlagen SS 2004 Prof. Dr. Ing. Lucienne Biessing)
Theoretische Grundlagen
In der Punktmechanik kennt man nur Körper und Kräfte, welche zwischen den Körpern wechselwirken. Der Begriff der Kraftleitung ist erst in der technischen Mechanik aufgetaucht, als man mit Hilfe des Schnittprinzips die Konzepte der Newtonschen Punktmechanik und der Eulerschen Starrkörpermechanik auf ausgedehnte Systeme mit einer inneren Struktur übertragen hat.
Zur Beschreibung der Mechanik benötigt man neben der Energie sechs mengenartige oder bilanzierfähige Grössen, die drei Komponenten des Impulses und des Drehimpulses (Nöthersches Theorem). Treten diese sechs Grössen über die materielle Oberfläche eines Körpers, nennt man die zugehörigen Stromstärken Kraft oder Drehmoment. Die drei Kraftkomponenten transformieren sich wie ein Vektor, die drei Komponenten des Drehmomentes wie die drei unabhängigen Komponenten eines schiefsymmetrischen Tensors. Solange man nur eigentliche Transformationen untersucht, verhält sich auch das Drehmoment wie ein Vektor.
Die Stromdichte einer vektorwertige Grösse ist ein Tensor zweiter Stufe; die Stromdichte eines Tensors zweiter Stufe muss mit einem Tensor dritter Stufe beschrieben werden. Nun ist die Stromdichte des Impulses bis auf das Vorzeichen und eine wirkungslose Transposition gleich dem Spannungstensor. Die Stromdichte des Drehimpulsstromes müsste ein spezieller Tensor dritter Stufe sein. Weil in der klassischen Mechanik nur der Impuls lokalisierbar ist, kann für den Drehimpuls aber keine Stromdichte angegeben werden.
Alle in der Literatur gegebenen Definitionen zum Kraftluss sind inkonsistent, weil sie davon ausgehen, dass die vektorwertigen Schnittgrössen Kraft und Drehmoment quasi wie ein Fluss durch die statische Struktur transportiert werden. Nun kann aber nur der Transport einer skalaren Grösse wie Volumen, Masse oder Ladung durch ein einziges Flussbild dargestellt werden.
Impulsstrom
induzierte Wirbelströme
Impuls wird konvektiv und leitungsartig durch den Raum transportiert. Der konvektive Transport, der nur bei Flüssigkeiten und Gasen auftritt, soll hier nicht weiter thematisiert werden. Zur Darstellung des leitungsartigen Impulsstromes nimmt man die Spalten des Spannungstensors, multipliziert diese mit minus eins und zeichnet sie als je einen Pfeil in drei verschiedene Bilder ein. Impulsstrombilder lassen sich problemlos mit Femlab erzeugen. Zu beachten ist, dass die konkrete Gestalt der drei Strombilder von der Wahl des Koordinatensystems abhängt.
Das erste Bild zeigt den Impulsstrom durch einen beidseits eingekerbten Blechstreifen. Im Bereich der Kerben wird der primäre Impulsstrom gegen die Mitte hin abgelenkt. Dabei entstehen Wirbelströme der zweiten Impulskomponente. Schuld an dieser Wirbelbildung ist das Prinzip der zugeordneten Schubspannung (Symmetrie des Spannungstensors). In der Sprache der Impulsströme besagt dieses Prinzip, dass ein y-Impulsstrom in x-Richtung fließen muss, sobald der x-Impulsstrom in die y-Richtung ausweicht. Allgemein formuliert muss die j-Komponente der i-Impulsstromdichte an jedem Ort gleich der i-Komponente der j-Impulsstromdichte sein (i und j stehen für x, y und z).
Prinzip der direkten Kraftleitung
Das Prinzip der direkten Kraftleitung besagt, dass die Kraft in ihre eigene Wirkrichtung „abgeleitet“ werden soll. Übersetzt man diese Aussage ins Impulsstrombild, bedeutet dies, dass jede Impulskomponente möglichst in ihre eigene Richtung strömen soll. Andernfalls werden Wirbelströme induziert. Diese Übersetzung vom Kraft- ins Impulsstrombild trifft jedoch nur zu, wenn eine Achse des globalen Koordinatensystems mit der Kraftrichtung zusammenfällt. Nur dann fließt bei reiner Zug- oder Druckbelastung eine einzige Impulskomponente in ihre eigene Bezugsrichtung. Bei allgemeiner Ausrichtung fließen zwei oder sogar drei Impulskomponenten gleichzeitig durch das unter Zug- oder Druck stehende Bauteil. Das Dilemma zwischen nur global gültigem Strombild und lokaler Analyse bezüglich der Hauptspannungsrichtung lässt sich durch Einführung von bauteilspezifischen Koordinatensystemen lösen. Im einfachsten Fall der Zug- und Druckstäbe reduziert sich das lokale Koordinatensystem auf einen Bezugspfeil. Wie man damit umgeht, kann anhand einfacher Fachwerk gezeigt werden.
Prinzip der kurzen Kraftleitung
Der Kraftfluss soll direkt und kurz geführt sein. Direkt und kurz geführte Kraftflüsse verursachen keine unnötigen Wirbel. Muss der in einem Zugstab in seine eigene Bezugsrichtung fließende Impulsstrom aus konstruktiven Gründen umgeleitet werden, induziert er gemäß dem Prinzip der zugeordneten Schubspannung einen zusätzlichen Strom. Im Kopplungsgebiet fließen Primär- und Sekundärstrom mit der gleichen Stromdichte in die Richtung der jeweils andern Komponenten. Weil der Sekundärstrom nicht durch die Oberfläche des Bauteils treten kann, schließt er sich im Innern des Bauteils zu einem Kreis.
Die Wirbelbildung soll nun anhand eines einfachen Beispiels diskutiert werden. Ersetzt man einen Teil eines Zugstabes durch einen offenen Bügel, muss der primäre Impulsstrom in den Armen des Bügels seitwärts zu seiner Bezugsrichtung fließen. Dabei induziert er gemäß dem Gesetz der zugeordneten Schubspannungen zwei Sekundärströme, die sich über den beiden Armen des Bügels zu je einem Wirbel schließen. In beiden Ecken des Bügels fließen die Sekundärströme seitwärts und induzieren dabei einen Tertiärstrom, der sich über den mittleren Teil des Bügels zu einem Wirbel schließt. Primär- und Tertiärstrom transportieren die gleiche Impulskomponente und bilden zusammen einen Gesamtstrom (linkes Teilbild). Im rechten Teilbild kann man die zwei Wirbelströme der Sekundärkomponente deutlich erkennen.
Prinzip des Kraftausgleichs
Ersetzt man den offenen Bügel durch einen geschlossenen, spaltet sich der primäre Impulsstrom in zwei Teile auf. Der seitwärts fließende Primärstrom induziert Sekundärströme, die sich über den beiden Doppelarmen zu je einem Wirbel schließen. Dank dieser Symmetrie baut sich nur ein schwacher Tertiärstrom auf.
Hinter dem Prinzip des Kraftausgleichs steht eine gewisse Ökonomie in Bezug auf die Ausbildung von Sekundärwirbel. In jedem Wirbel fließt der Impuls ein Stück weit in seine eigene Bezugsrichtung, was sich als Druck bemerkbar macht. Auf der gegenüberliegenden Seite fließt der Impuls unter Zugbelastung gegen die Bezugsrichtung. Dazwischen muss der Impuls seitwärts transportiert werden und folglich mit dem Strom einer zweiten Impulskomponente koppeln. Das Prinzip des Kraftausgleichs sorgt nun dafür, dass der Primärstrom beide Seiten des Sekundärwirbels abdeckt. Dann gibt es keine freie Flanke mehr, auf der ein Tertiärwirbel aufgebaut werden kann.
Impulsquellen
In der Statik bilden Impulsströme über mehrere Bauteile Kreise und in den einzelnen Bauteilen Wirbel aus. Nur die Gravitationskraft vermag diese Kreisströme aufzubrechen. Die Gravitationskraft steht für den volumenmäßigen Impulsaustausch zwischen Körper und Gravitationsfeld. Zeigt die positive z-Achse nach unten, besitzt jeder Körper eine z-Impulsquelle. Diese Quelle verteilt sich über das ganze Volumen. Die Quellendichte ist gleich Massendichte mal Gravitationsfeldstärke. Das Bild zeigt die Impulsströme in einer Schrägseilbrücke. Der z-Impuls, der vom Gravitationsfeld her zuströmt, wird über die Seile schief nach oben an die Pylone abgeführt. In den schief stehenden Seilen strömt zusätzlich noch Impuls der x-Komponente.
In der Dynamik muss das Impulsspeichervermögen der einzelnen Körper konsistent mit den zugehörigen Strömen, den Kräften, verknüpft werden. Weil sich die träge Masse nicht von der schweren Masse unterscheidet, erzeugen beschleunigte Körper die gleichen Impulsströme wie ruhende Körper im entsprechenden Gravitationsfeld. Ein Impulsstrom kann also sowohl von einer Änderungsrate des Impulsinhaltes als auch von einem Gravitationsfeld gespiesen werden. Diese doppelte Wirkung der Masse, einmal als Impulskapazität und einmal als Teil der Quellenstärke, schafft große Verständnisprobleme in Bezug auf den Kraftbegriff. Erschwerend kommt hinzu, dass in der technischen Mechanik der Bergriff der Trägheitskraft nach d’Alambert dazu benutzt wird, ein dynamisches Problem auf ein statisches zurückzuführen, in der Physik Trägheitskräfte aber nur dann eingeführt werden, wenn das Beobachtersystem im Sinne von Newton und Mach nichtinertial ist.