Starrer Körper
Der starre Körper ist das physikalische Modell eines nicht verformbaren Körpers. Bei einem starren Körper ist der Abstand zwischen zwei materiellen Punkten unabhängig von dessen Dynamik immer konstant. Einen starrer Körper, der auf einer festen Achse gelagert ist, heisst Rotator. Wird der starre Körper nur an einem frei drehbaren Punkt festgehalten, nennt man ihn Kreisel.
Modell
Der starre Köper weist - wie der Name sagt - eine absolut starre Massenverteilung auf. Dieser Modellkörper besitzt keine internen Freiheitsgrade. Er kann also in keiner Weise vibrieren und der zugeführte Impuls verteilt sich beliebig schnell entsprechend den Anforderungen des momentanen Bewegungszustandes.
Der starre Körper kann von den sieben Primärgrössen nur Impuls und Drehimpuls speichern und austauschen. Folglich ist der Zustand des starren Körpers durch die beiden Potenziale Geschwindigkeit und Winkelgeschwindigkeit vollständig beschrieben.
Der starre Körper soll nun nach den Prinzipien der Physik der dynamischen Systeme modelliert werden: zuerst die Bilanzgleichung, dann die konstitutiven Gesetze und als Supplément die Energiebilanz.
Bilanzgleichungen
Der quellenartige oder volumenmässige Impuls- und Drehimpulsaustausch mit dem Gravitationsfeld kann mittels der Schwer- oder Gewichtskraft, die im Schwerpunkt "angreift", beschrieben werden. Im homogenen Gravitationsfeld fällt der Schwerpunkt mit dem Massenmittelpunkt zusammen. Die durch die Oberfläche des starren Körpes tretenden Impulsströme nennt man ebenfalls Kräfte. Damit nimmt die Impulsbilanz bezüglich des Systems starrer Körper die folgende Form an
- [math]\sum_{i} \vec F_i + m \vec g = \dot {\vec p}[/math]
Die Summe über die Stärke aller Impulsströme plus die gravititative Quellenstärke ist gleich der Änderungsrate des Impulses.
Der starre Körper kann den Drehimpuls ebenfalls über Ströme oder Quellen austauschen. Das homogene Gravitationsfeld erzeugt im starren Körper netto keine Drehimpulsquellen. Deshalb darf der ganze Impuls- und Drehimpulsaustausch zwischen Gravitationsfeld und Körper - wie oben erwähnt - durch die Wirkung einer einziger Gewichts- oder Schwerkraft (einer punktförmigen Impulsquelle im Schwerpunkt) ersetzt werden. Weist der starre Körper zusätzlich noch die Eigenschaften elektrisches oder magnetisches Dipolmoment auf, bildet sich bezüglich des elektromagnetischen Feldes eine Drehimpulsquelle (vergl. Larmorpräzession).
Die Stärken von Drehimpulsströmen, die über einzelne Bauteile zugeführt werden, und die Stärken von Drehimpulsquellen, die durch das elektromagnetische Feld bedingt sind, nennt man auch reine Drehmomente M. Reine Drehmomente werden oft als Kräftepaar (Impulsein- und austritt) dargestellt. Die durch quer fliessende Impulsströme erzeugten Drehimpulsquellen werden den Impulsströmen zugeordnet und heissen deshalb Drehmoment einer Kraft. Als Bezugspunkt für die Zuordnung des Drehmomentes zu einer Kraft muss in jedem Fall der Massenmittelpunkt des starren Körpers genommen werden. Jede Kraft muss demnach ein Drehmoment zugeordnet werden, das gemäss Hebelgesetz gleich Kraft mal Abstand des Massenmittelpunktes von der Wirklinie der Kraft ist.
Die Drehimpulsbilanz fasst nun die reinen und die über das Hebelgesetz den Kräften zugeordneten Drehmonente zur Änderungsrate des Drehimpulses zusammen
- [math]\sum_{j} \vec M_j + \sum_{i} (\vec r_i \times \vec F_i) = \dot {\vec L}[/math]
Die Vektoren ri zeigen vom Massenmittelpunkt zur Mitte der Kraftangriffsfläche. Wie bei der Impulsbilanz ergibt die Summe über die Stärke aller Drehimpulsströme plus die durch querfliessende Impulsströme erzeugten Quellenstärken die Änderungsrate des Drehimpulses.
Die Impuls- und die Drehimpulsänderungsrate sind getrennt über die Zeit aufzusummieren. Alle sechs Komponenten (drei des Impulses und drei des Drehimpulses) bilden die dynamischen Zustandsgrössen des Systems starrer Körper.
Kapazitivgesetze
Die träge Masse wirkt als Impulskapazität
- [math]\begin{pmatrix} p_x \\ P_y \\ p_z \end{pmatrix} = m \begin{pmatrix} v_x \\ v_y \\ v_z \end{pmatrix}[/math]
Die Kapazität bezüglich des Drehimpulses wird durch das Massenträgheitsmoment beschrieben
- [math]\begin{pmatrix} L_x \\ L_y \\ L_z \end{pmatrix} = \begin{pmatrix} J_{xx} & J_{xy} & J_{xz} \\ J_{yx} & J_{yy} & J_{yz} \\ J_{zx} & J_{zy} & J_{zz} \end{pmatrix} \begin{pmatrix} \omega_x \\ \omega_y \\ \omega_z \end{pmatrix}[/math]
Weil das Massenträgheitsmoment ein (symmetrischer) Tensor ist, hängt jede Drehimpulskomponente von jeder der drei Winkelgeschwindigkeiten ab. Die hier gegeben Darstellung des Massenträgheitsmomentes in Komponenten bezüglich des Weltsystems verändert sich mit der Bewegung des Körpers.
Geometrie
Impuls- und Drehimpulsbilanz bilden das Rückgrat der Mechanik. Sind die dynamischen Zustandsgrössen Impuls und Drehimpuls ermittelt, können mit Hilfe des Kapazitivgesetzes die Geschwindigkeit des Massenmittelpunktes und die Winkelgeschwindigkeit berechnet werden.
Aus der Geschwindigkeit des Massenmittelpunktes wird der momentane Ort desselben durch eine Integration über die Zeit ermittelt werden (drei skalare Integrationen):
- [math]\vec r_{MMP} = \vec r_{MMP0} + \int {\vec v_{MMP} dt}[/math]
Die Drehung des starren Körpers wird mit Hilfe der Drehmatrix Rij beschrieben. Diese Drehmatrix kann fortlaufend aus der Winkelgeschwindigkeit gebildet werden. Dazu definiert man aus der Winkelgeschwindigkeit einen Einheitsvektor a in Richtung der Drehachse
- [math]\vec a = \frac {\vec \omega}{\omega}[/math]
und berechnet aus dem Betrag der Winkelgeschwindigkeit den Drehwinkel φ durch Multiplikation mit dem Zeitschritt Δ t
- [math]\varphi = \omega \Delta t[/math]
Aus diesen beiden Grössen lässt sich die Drehmatrize für den Zeitschritt Δ t gemäss folgender Vorschrift bestimmen
[math]\begin{pmatrix} a_x^2 \ & a_x a_y \ & a_x a_z \\ a_y a_x \ & a_y^2 \ & a_y a_z \\ a_z a_x \ & a_z a_y \ & a_z^2 \end{pmatrix} + \begin{pmatrix} 1 - a_x^2 \ & -a_x a_y \ & -a_x a_z \\ -a_y a_x \ & 1 - a_y^2 \ & -a_y a_z \\ -a_z a_x \ & -a_z a_y \ & 1 - a_z^2 \end{pmatrix}\cos \varphi + \begin{pmatrix} 0 \ & -a_z \ & a_y \\ a_z \ & 0 \ & -a_x \\ -a_y \ & a_x \ & 0 \end{pmatrix} \sin \varphi[/math]
Die totale Drehung ist dann gleich dem Produkt aus allen Teildrehungen. Diese Berechnungsmethode ist aufwändig und numerisch nicht sehr stabil.
Energie
Die Energiebilanz gewinnt man aus den Bilanzgleichungen der Bewegungsmengen durch Multiplikation mit den zugehörigen Potenzialen. So erhält man aus der Impulsbilanz
- [math]\sum_{i} \vec F_i \cdot \vec v + \vec F_G \cdot \vec v = \dot {\vec p} \cdot \vec v[/math]
und aus der Drehimpulsbilanz
- [math]\sum_{j} \vec M_j \cdot \vec \omega + \sum_{i} (\vec r_i \times \vec F_i)\cdot \vec \omega = \dot {\vec L}\cdot \vec \omega[/math]
Fasst man die beiden Energiebilanzen zusammen und subtrahiert die Leistung der Gewichtskraft auf die rechte Seite, erhält man die Energiebilanz bezüglich des starren Körpers
- [math]\sum_{i} (\vec F_i \cdot \vec v_i) + \sum_{j} \vec M_j \cdot \vec \omega = \dot {\vec p} \cdot \vec v + \dot {\vec L}\cdot \vec \omega - \vec F_G \cdot \vec v [/math]
Man beachte, dass im ersten Term zwei Ausdrücke über eine geometrische Beziehung zusammengefasst worden sind
- [math]\vec F_i \cdot \vec v + (\vec r_i \times \vec F_i)\cdot \vec \omega = \vec F_i \cdot \vec v_i[/math]
Links stehen nun die Leistungen aller Oberflächenkräfte und aller reinen Drehmomente (zugeordnete Energieströme), rechts die Änderungsraten der kinetischen Energie, der Rotationsenergie und der Gravitationsenergie. Die Energiestromstärke der Impulsquelle (Gewichtskraft) wird als (negative) Änderungsrate der Gravitationsenergie (potentielle Energie) bezeichnet. Einer Drehimpulsquellen darf somit kein Energiestrom zugeordnet werden, weil dieser Beitrag im zugeordneten Energie des Impulsstromes steckt (der im Körper querfliessende Impulsstrom erzeugt eine Drehimpulsquelle und überträgt den entsprechenden Anteil seiner Energie auf den Drehimpulsstrom).
Die Energiebilanz (Leistungsbilanz) bezüglich des starren Körpers nimmt damit folgende Gestalt an
- [math]\sum_i P(\vec F_i) + \sum_j P(\vec M_j) = \dot W_{kin} + \dot W_{rot} + \dot W_G[/math]
Integriert man die Leistungsbilanz über die Zeit auf, erhält man die Gleichung, die häufig auch als Energiebilanz bezeichnet wird
- [math]\sum_i W(\vec F_i) + \sum_j W(\vec M_j) = \Delta W_{kin} + \Delta W_{rot} + \Delta W_G[/math]